Über ARLES, MON AMOUR
olfgang Bellwinkels "Arles, mon Amour" stellt den Betrachter vor ein interessantes Dilemma.
Oberflächlich betrachtet, wirkt es wie eine Liebeserklärung an die hässlichen Seiten der südfranzösischen Kulturmetropole - ironisch, provokant, selbstbewusst. Aufgenommen zu einem Zeitpunkt, an dem Fotografie in der Stadt gehört wird: Den Rencontres de la Photographie.
Eigentlich bräuchte man jetzt nur ein paar Worte über Ironie oder Doppelbödigkeit als künstlerische Waffe zu verlieren und könnte es wunderbar dabei belassen, ja - ... wenn wir damit nicht genau bei dem wären, was Bellwinkel tatsächlich reizt:
Das Oberflächliche.
Bellwinkel sucht immer wieder nach neuen Möglichkeiten in der Fotografie, um das kollektive, oft vordergründige Bild-Gedächtnis, das unsere Ansicht(en) prägt, zu hinterfragen.
"Ich bin zwischen Hotel und Altstadt hin- und hergependelt - immer mit dem Gefühl, mich zwischen zwei Welten zu bewegen, einer, deren Schönheit ich nicht aushalten konnte und einer, deren Rohheit und Häßlichkeit mich abstieß, aber auch faszinierte ..."
Der Berliner ist dabei stets auf der Suche nach dem Grundlegenderen, Nicht-Gesehenen, angetrieben von Puzzlestücken einer anderen, tieferen Wahrheit, die davon erzählt, dass es nicht das eine "Einfach" gibt, nachdem es oft aussieht. Auch wenn ihm als Fotografen dazu, praktisch gesehen, bloß die Oberfläche bleibt, deren Analyse er in immer wieder überraschenden Bildserien neu beschreibt.
Bellwinkels Buch ist also weniger ein Buch über Arles - womit wir doch wieder bei Thema "Ironie" wären - es ist vielmehr eins über Fotografie. Was es für Fotobuch-Liebhaber zweifellos reizvoller macht.
Schon allein wegen der ausgeklügelten Bildstrategie, derer Bellwinkel sich in diesem Fall bedient: Er nutzt das vielfach beschworene, gleißende mediterrane Licht - ein Licht, das alles in Farbe übersetzt, was Gegenstand ist - und adelt damit den Müll, den vollgestopften Einkaufswagen, genauso wie die urbane "zone industrielle" und ihre Vegetation. Architektur reduziert sich hier auf eine gesichtslose Hülle, funktional kaum anders als die zerfetzte Plastiktüte, beide nur dazu da, um ihren Job im ökonomischen Prozess möglichst effektiv zu erfüllen. Das einzig Menschliche auf das man in "Arles, mon Amour" trifft: ein kopfloser Tonkrieger aus Chinas kaiserlichen Armee. Ein skeptisches Bild zur Globalisierung und ihren Auswüchsen, das hängen bleibt.
Doch und auch das ist wohl auch wieder etwas zum Thema "Ironie" - es sah anfangs gar nicht so aus, als würde es überhaupt ein Buch über Arles geben. Denn Bellwinkels Liaison arlésienne begann mit einer Bildverweigerung, weil er in der Stadt nichts Abbildungswertes fand, bis er anfing, das Gelände rund um sein Hotel zu fotografieren.
Zum Glück, möchte man sagen. Denn herausgekommen ist ein spannendes visuelles Plädoyer wider die schleichende Amazonisierung der Städte. Bellwinkels kurzer Ausflug in die Ästhetik des Häßlichen lässt einen mit dem unbehaglichen Gefühl zurück, dass die südfranzösische Kulturmetropole vielleicht auch bald bloß noch eine Art potemkinsches Dorf ist. Und man sich insgeheim fragt sich, welches der beiden das eigentlich Echte ist: Die Instagram-polierte Postkarten-Ansicht. Oder dieses hier.
Aber auch das gehört zur Ironie dieses bemerkenswerten Buches und Bellwinkels Art der Fotografie.
Wolfgang Bellwinkel - Arles, mon Amour - ein ironischer Blick auf die Stadt der Rencontres de la Photographie und einer, der viel über die Globalisierung und ihre Auswüchse erzählt.
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