von Rudolf Lindau
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In meiner Jugend habe ich häufig, wenn auch niemals regelmäßig oder auf lange Zeit, ein Tagebuch geführt. ¿ Mit den Jahren hatte sich jedoch auf diese Weise eine erhebliche Menge von Geschreibe angesammelt, das mir selbst, wenn ich darin las, ein getreues Bild meines Lebens bis etwa zu meinem zwanzigsten Jahre wiedergab ¿ aber nur mir. Ein fremder Leser, meine nächsten Anverwandten mit inbegriffen, würde sich aus meinen Erzählungen und Beschreibungen ein falsches Bild gemacht haben, weniger von dem, was ich tatsächlich erlebt hatte, als von dem, was ich dabei empfunden zu haben vorgab. ¿ Nach jenen Aufzeichnungen zu urteilen, hätte man mich nämlich für einen zur Schwermut geneigten jungen Mann halten müssen, während ich im Gegenteil, körperlich und geistig gesund, alle Freuden des Lebens, die ich erhaschen konnte, gedankenlos genoß und mich über die schweren Bekümmernisse der Jugend, die mir nicht erspart blieben, schnell und leicht hinwegzusetzen wußte. Ich wäre in meinem Tagebuche, wenn ich mich darin so geschildert hätte, wie ich war, als ein gutmütiger, etwas leichtsinniger junger Mann erschienen, der das Wohlwollen der Älteren verdiente und besaß; sicherlich nicht als ein schwermütiger, den Mondschein liebender Jüngling. ¿ Weshalb ich mich als einen solchen darzustellen versuchte, kann ich nicht erklären; keinenfalls geschah es, um mich anderen gegenüber »interessant« zu machen, denn ich verwahrte mein Tagebuch als etwas ganz Geheimes, und weder Freund noch Freundin war es je gestattet, auch nur von dem kleinsten Teile seines Inhaltes Kenntnis zu nehmen. ¿ Ich kann auch nicht sagen, daß ich mich selbst zu belügen versuchte, indem ich mir allerhand krankhafte Gefühle andichtete, denn ich wußte sehr wohl, daß ich dergleichen nie gehegt hatte ¿ aber dieses »Dichten« hatte für mich einen geradezu unwiderstehlichen Reiz, namentlich in den Jahren von sechszehn bis neunzehn. ¿ Dann verlor sich die Freude daran und mit ihr auch die Freude an meinem Tagebuche.