Über Der sexuelle Übergriff in Heinrich Leopold Wagners "Die Kindermörderin". Verführung oder Vergewaltigung?
Studienarbeit aus dem Jahr 2017 im Fachbereich Germanistik - Ältere Deutsche Literatur, Mediävistik, Note: 1,3, Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Deutsche Philologie), Veranstaltung: Proseminar: Bürgerliches Trauerspiel, Sprache: Deutsch, Abstract: In dieser Arbeit wird das Problem der Verführung in Wagners Drama "Die Kindermörderin" vor dem Hintergrund der Rechtslage im 18. Jahrhundert beleuchtet. Dabei wird die Frage beantwortet, um welchen Tatbestand es sich bei dem sexuellen Übergriff des Leutnants handelt. Es ist hierbei sinnvoll, zunächst auf die Vorstellungen von (vorehelicher) Sexualität im Bürgertum des 18. Jahrhunderts und den damit verbundenen Begriff weiblicher Tugend und Ehrbarkeit einzugehen. Um den sexuellen Übergriff in Wagners Drama klassifizieren zu können, ist es außerdem notwendig, die einzelnen Tatbestände von Unzucht, Vergewaltigung und Notzucht aus damaliger Sicht zu definieren und den Begriff der Verführung davon abzugrenzen. Basierend auf diesen theoretischen Grundlagen erfolgt im Anschluss die Analyse der Beziehung zwischen Leutnant von Gröningseck und Evchen Humbrecht, wobei stets ein Bezug zu dem sexuellen Übergriff hergestellt werden soll. Abschließend wird geprüft, inwieweit die Tat mit der Katastrophe am Ende des Dramas zusammenhängt.
Im 18. Jahrhundert wurde bei der Beurteilung sexueller Übergriffe auf Frauen neben der körperlichen auch immer eine psychische Gewalteinwirkung in Betracht gezogen. Dies thematisiert auch der Jurist und Autor Heinrich Leopold Wagner in seinem Drama "Die Kindermörderin" aus dem Jahr 1776. In dem Trauerspiel findet ein sexueller Übergriff des Leutnants von Gröningseck auf die Bürgerstochter Evchen Humbrecht statt. Wie dieser zu bewerten ist, darüber besteht in der Forschungsliteratur keine Einigkeit. Luserke sieht in dem sexuellen Übergriff definitiv eine Vergewaltigung, wohingegen El-Dandoush die Tat als Verführung bezeichnet. Anders als in der bäuerlichen Bevölkerung oder in der adligen Gesellschaft hatte Sexualität im Bürgertum des 18. Jahrhunderts ihre ausschließliche Legitimation in der Institution der Ehe. Aufgrund der moralischen Vorstellungen von Kirche und Staat war Sexualität ein tabuisiertes Thema und wurde, wenn sie vor- oder außerehelich stattfand, von kirchlicher und staatlicher Seite diskriminiert.
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