Über Des Baumes Frucht
Zur Autorin:
Die amerikanische Erzählerin Edith Wharton (1862-1937) ist bekannt für Romane,
in denen die upper-ten-thousand-Befindlichkeiten hellsichtig und ironisch seziert
und kunstvoll gestaltet werden. Die Autorin war durch ihre Herkunft, eine alte
wohlhabende, quasi-aristokratische New Yorker Familie, und ihre eigenen Erfahrungen mit deren Sozialisation zu einer Insider-Kritik geradezu prädestiniert.
Ihre mit einem Bostoner Banquier im Alter von 23 Jahren geschlossene Konvenienzehe, die kinderlos blieb, verlief unglücklich, auch weil der Ehemann an
unheilbaren Depressionen litt; sie wurde 1913 geschieden.
Edith Wharton, die seit 1908 in Frankreich lebte, reiste viel, insbesondere in Italien, Frankreich und England, auch in Marokko und Nordafrika, was sich auch in
mehreren Reisebüchern niederschlug. In der Zeit des Ersten Weltkriegs engagierte
sie sich für die französischen Flüchtlinge, berichtete von den französischen Frontlinien für amerikanische Zeitungen und schrieb Kriegsromane aus französischer
Sicht (The Marne, A Son at the Front).
Ihre Bücher, darunter 16 Romane und 86 Erzählungen, machten sie rasch bekannt,
und sie genoss die Freundschaft zahlreicher zeitgenössischer Intellektueller (u.a.
Henry James, Sinclair Lewis, Jean Cocteau und André Gide). Den größten literarischen Erfolg erzielte sie mit dem Roman »The Age of Innocence« (1920), für den
sie 1921 den Pulitzer-Preis erhielt. Das Buch wurde mehrfach verfilmt, zuletzt von
Martin Scorsese 1993; auch andere Werke wurden immer wieder als Vorlagen zu
Film- oder TV-Adaptionen gewählt (darunter zuletzt »The House of Mirth«, 2000).
Edith Wharton verstarb 1937 an den Folgen eines Schlaganfalls.
»The Fruit of the Tree«
(1907) ist Edith Whartons dritter Roman; anders als die übrigen großen Romane beschränkt sich »Des Baumes Frucht« nicht auf die Kritik des Lebensstils der New Yorker upper ten thousand, sondern konfrontiert ihren Reichtum mit dessen Herkunft, der Fabrikarbeit, die zum Teil unter unsäglichen Bedingungen zu leisten war.
Ausgangspunkt ist ein Arbeitsunfall in einer Textilfabrik, der offensichtlich auf Mängel in der Anlage der Fabrik selbst zurückzuführen ist. Der stellvertretende Geschäftsführer John Amherst sieht nun, als die junge Witwe des verstorbenen Inhabers der Fabrik einen Besuch abstattet, eine Chance, auf Bessy Westmore persönlich einzuwirken und die herrschenden Zustände zu humanisieren. Was sich daraus ergibt, führt zu einer kunstvollen themen- und personenreichen Romankomposition, die von der zeitgenössischen Kritik damals wegen der schonungslosen Behandlung des amerikanischen Kapitalismus zwar mit einiger Irritation quittiert wurde, heute jedoch in ihrer Klarsichtigkeit eine erneute Lektüre mehr als verdient hat.
Dieses Buch wurde 2016 erstmals ins Deutsche übersetzt.
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