Über Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren
Als »griesgrämiger Greis« hat sich der Jurist Ludolf Ursleu der Jüngere ins Kloster Einsiedeln zurückgezogen und erzählt in dieser Klausur eine Geschichte aus längst vergangenen Jugendzeiten - die der ehebrecherischen Liebe seiner ledigen jüngeren Schwester Galeide Ursleu zu einem verheirateten Cousin, dem Juristen Ezard Ursleu. [Wikipedia]
Ich sah auf einmal, wie ich jetzt ausführlich beschreiben will, daß es nichts und gar nichts gibt, was im Leben einen festen Stand hat. Das Leben ist ein grundloses und ein uferloses Meer; ja, es hat wohl auch ein Ufer und geschützte Häfen, aber lebend gelangt man dahin nicht. Leben ist nur auf dem bewegten Meere, und wo das Meer aufhört, hört auch das Leben auf. Wie wenn eine Koralle aus dem Meere tritt, so erstirbt sie. Und wenn man die schönen glasbunten Quallen aus dem Wasser nimmt, so hat man eine scheußliche Gallerte in der Hand. Nun, meine ich, ist es so mit den Menschen und dem Leben: man kann wohl Ruhe und Sicherheit erlangen, aber nur, wenn man auf das Leben mit seinem fröhlichen Wellenspiel, seinen wechselnden Farben, seinen tollen Stürmen verzichtet. [Ricarda Huch, Auszug aus dem Text]
Die Erstausgabe erschien 1893 in Berlin. Der Text des vorliegenden Neusatzes folgt der Ausgabe Stuttgart und Berlin 1919, erschienen in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung. Der Text wurde in der Schreibweise leicht modernisiert.
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