Über Projekt Menschwerdung
In geologischem Maßstab ist die Geschichte des Menschen noch sehr kurz; gerade zwei Millionen Jahre liegt das Auftreten des ersten Homo erectus zurück. Doch diese Anfänge erscheinen uns heute unendlich weit entrückt. Dabei stoßen wir, ohne darüber nachzudenken, immer wieder auf unser evolutionsbiologisches Erbe: Auf der Autobahn folgen Raser ihrem Jagdinstinkt und hetzen den Vordermann wie eine Beute. Im Gedränge der U-Bahn spüren viele Menschen, dass sie eigentlich in Kleingruppen von zwanzig bis dreißig Personen gehören. Und selbst der Heißhunger auf Süßes und Fast Food hat Wurzeln in unserer stammesgeschichtlichen Vergangenheit.
Mit der Entwicklung des Großhirns schuf die Evolution ein Organ, dessen Fähigkeiten letztlich darauf abzielten, ihr ein Schnippchen zu schlagen: Neben die biologische Evolution, die in Jahrmillionen rechnet, trat die kulturelle, die in Jahrhunderten oder Jahrzehnten zählt. So sind Menschen heute beides: biologische Wesen und Kulturwesen. Indem wir versuchen, die Natur uns anzupassen, stellen wir das uralte Prinzip der Evolution auf den Kopf. Ist der Mensch damit zum Halbgott geworden? Oder läuft er Gefahr, als Zauberlehrling zu enden, der die von ihm entfesselten Kräfte nicht mehr zu bändigen vermag?In diesem Spannungsfeld widmet sich der renommierte Archäologe Gerd-Christian Weniger fünf zentralen Themenkomplexen: Leben und Überleben, Mythos und Religion, Werkzeug und Wissen, Umwelt und Ernährung, Verständigung und Verträglichkeit. Diese Leitthemen haben in der Entwicklung des Menschen seit jeher eine beherrschende Rolle gespielt, und von ihrer erfolgreichen Bewältigung hängt nicht zuletzt auch unsere Zukunft ab. Indem der Autor sie über die Zeiten hinweg verfolgt, erzählt er von der permanenten Auseinandersetzung zwischen unserem biologischen und kulturellen Erbe. In seinem breiten, interdisziplinären Überblick über die Rahmenbedingungen unserer Existenz wird deutlich, dass der Mensch das Wesen mit dergrößten Beeinflussbarkeit und der höchsten Anpassungsfähigkeit in der Geosphäre ist. Die Menschwerdung ist insofern ein noch nicht abgeschlossenes Projekt, und die Chance unserer biologisch-kulturellen Offenheit gilt es zu nutzen. Damit kommt das Buch in der Zukunft an, in der unsere Vergangenheit noch immer eine wichtige Rolle spielen wird.
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