Über Sommerleithe
VORSICHT¿¿! Mit den ersten Worten dieses Buches betreten Sie eine Wendeltreppe, die ins Unauslotbare führt. Mit jeder Stufe kommen Sie einen Schritt sich selbst näher. Es nimmt Sie ganz harmlos an der Hand, aha, eine Ost-West-Geschichte, kennen wir ja schon, na ja, mal gucken. Dann aber ist es schon zu spät. Sie haben das kleine Schild ¿last exit to heaven¿ übersehen. Jetzt hat Sie das Buch an der Gurgel und führt Sie in die Schreckenskammern: zu den Fleischerhaken, zur wundervoll-ekelhaften Wollust des Schlachtens, ins Bett der Mutter, zu den Schrecken des Westens, an den Sarg. Die Geschichte führt Sie in die eigenen Finsternisse, dahin, wo Freud Ihnen die Hand schüttelt, ¿Willkommen im Klub¿ murmelt, sich umdreht und geht. Denn hier werden Sie Position beziehen, weil Sie es müssen, um da wieder rauszukommen. Anders wird es wohl nicht gehen. Empfehlung: Nachts alleine lesen mit einer Flasche Saale-Unstrut, einfach weil¿s passt.
Konrad Beikircher
Der Auftakt ist literarisch vergleichslos: Klaus Weise eröffnet die Beschreibung einer Kindheit im noch geteilten Deutschland, es ist in mancher Hinsicht die eigene, mit einer Szene des Schreckens: In der Metzgerei des Vaters wird der sechsjährige Erzähler an einen Räucherspieß im Fleischhimmel von Wurst und Schinken gehängt. Es ist der böse Spaß eines Gesellen, dem der Vater belustigt zusieht.¿(¿)
Der Autor Klaus Weise ist ein Theatermann von Rang, Regisseur und viele Jahre lang erfolgreicher Intendant in Bonn, aber nur an einer Stelle gibt er ein Beispiel für die in diesem Fall allerdings katastrophische Wirkungskraft der Bühne. Mit Sommerleithe ¿ der Titel des Romans ist der Name einer Straße in Gera, bis zur Flucht der Familie in den Westen die Heimat seiner frühen Jahre ¿ erweist er sich jetzt als faszinierend sprachmächtiger Interpret eines Dramas, das er sich selbst war und ist.
Peter Iden
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