Über Der Atlas der Erinnerung
Norbert Hummelt erkundet in seinen Erzählungen Landschaften und Orte, literarische und historische Schauplätze. Seine Texte sind eine kostbare Schule der Beiläufigkeit.
Das ist wörtlich zu verstehen: Es läuft jemand an etwas vorbei - und findet es merkwürdig. Wichtig ist weniger das Was als das Wann und Wo. Wenn Peter Handke einst auf der Suche nach der «Stunde der wahren Empfindung» war, so beschäftigt sich Hummelt mit dem Ort der nachwirkenden Erfahrung.
Wie war das seinerzeit, als halbwüchsiger Westbürger die DDR zu besuchen? Im Gedächtnis blieb die Musik von «Magdeburg» - aber wo ist sie geblieben? Und der große Plattenladen von «Saturn» in Köln - was war dieses einstige Mekka gelebter Musik gegen das öde Schaulager elektronischer Bespaßungsgeräte heutiger Tage? Wie wäre es dagegen, den Dauerlärm des Aktuellen einmal zu verlassen und sich auf die Spuren von Eichendorff in Oberschlesien zu begeben? Und was verbirgt sich eigentlich hinter der Adresse «Blabber 1», an der Günter de Bruyn irgendwo im Brandenburgischen wohnt?
Unterwegs zu sein ist für diesen Autor eine Lebens- und Erkenntnisform, wobei es gleichgültig ist, ob er den Orten einstiger Familienausflüge in der Kindheit nachgeht oder durch die Allerweltsstraße flaniert, an der er heute in Berlin wohnt.
All dies ist im übrigen keineswegs ein Idylle-Programm; hier ist einer geschichtsbewusst und durchaus kritischen Auges unterwegs. Das Eigenartige aber: In Norbert Hummelts Texten spürt man, dass eigentlich alles interessant und belebend ist - jeder Moment wirklicher Gegenwart und jede merkwürdige Beobachtung, sei sie auch noch so beiläufig.
All dies aber vollzieht sich erst in der Sprache - und hier beginnt das große Geheimnis. Das Beglückende: Norbert Hummelt hat ganz daran teil.
«Die Anhänglichkeit an mein persönliches Eldorado, das zur Verbandsgemeinde Emmelshausen gehört und sich an der Landstraße bis heute mit dem magischen Ortsschild ankündigt, kostete mich in den neunziger Jahren vielleicht eine Reise, die vielen verlockender erscheinen dürfte. Als mich nämlich der Leiter der Berliner Literaturwerkstatt bei einem Bier danach fragte, an welchem Ort in Europa ich jetzt am liebsten sein würde, fiel mir leider nur der Name jenes Dorfes ein, in dem mein Freund Günther, der Dribbelkönig von der Liegewiese, inzwischen Ortsbürgermeister war. Der Literaturmanager konnte damit nichts anfangen; die richtige Antwort wäre Portugal gewesen, denn dorthin fuhr der Literaturexpreß, den er seinerzeit plante.»
Aus: Meine andere Heimat
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