Über Die Zukunft der Verfassung
Der Wohlfahrtsstaat zehrt an der Verfassung. Für einen Staat mit ganz anderen Aufgaben und Mitteln konzipiert, ist sie auf die wohlfahrtsstaatlichen Aktivitäten und Instrumentarien nicht eingestellt und läßt sich auch durch Verfassungsänderungen offenbar nur begrenzt darauf einstellen. Trifft diese Beobachtung zu, so bedeutet das nicht weniger als die Bedrohung einer Errungenschaft, die zweihundert Jahre lang als wichtigstes Mittel zur Machtbegrenzung und Politiksteuerung im Interesse personaler Freiheit gedient hat. Die zunehmende Materialisierung von Staatsaufgaben mit ihrer Minderung der rechtlichen Steuerungsfähigkeit sowie die Diffusion der Staatsgewalt mit ihrer Fragmentierung von Entscheidungsbefugnissen zwingen zu der Annahme, daß die Verfassung ihrem Anspruch zum Trotz zu einer Teilordnung regrediert und wieder Züge der älteren punktuellen und partikularen Bindungen von Herrschaft annimmt. Im selben Maße, in dem dieser Wandel ins Bewußtsein tritt, dürfte die empirische Verfassung wieder an Interesse gewinnen.
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