Über Erzählungen
Wer von euch Kindern war während der vergangenen Sommerferien im Hochgebirge? Diejenigen unter euch, die von ihren Eltern nach den Tyroler Bergen mit genommen waren, die hatten es erleben können, daß sie eines Julimorgens erwachten und ringsum alles mit dickem Schnee bedeckt fanden, ganz wie zur Weihnachtszeit. Nicht viele Menschen wissen, woher dieses merkwürdige Naturereignis kam. Mir hat es eine geschwätzige Elster aus dem Ahrenthal gesagt, und ich will es euch wieder erzählen, so gut ich kann. In Bill, einem Dorfe bei Innsbruck, lebte ein Bauer mit seiner Frau und einem Söhnchen. Als sie einmal zusammen in die Kirche gingen, da fanden sie auf ihrem Wege ein Bündelchen und in dem Bündel ein Kind, ein kleines Mädchen. Der Bauer wollte es liegen lassen und sich nicht weiter darum bekümmern. Die Bäuerin konnte es aber nicht über's Herz bringen, das Kindchen voraussichtlich dem Tode preisgegeben zu sehen, und nahm es gegen den Willen ihres Mannes mit nach Hause. Sie pflegte und hegte nun den kleinen Findling mit unermüdlicher Liebe und Rosel, so ward das Kind genannt worden, dankte ihr die Sorge und Mühe, indem sie zu einem braven und wacker fleißigen Mädchen heranwuchs. Doch der Bauer mochte sie nicht leiden, und auch dann noch nicht, als Rosel nach dem Tode der Bäuerin die ganze große Wirtschaft besorgte, überall nach dem Rechten sah und dabei mit den Mägden für zwei arbeitete.
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